„Für Queerrechte – Viele. Gemeinsam. Stark!“ So lautete das Motto des ColognePride auch in diesem Jahr. Wiederum zum Abschluss der über zweiwöchigen Veranstaltung in Köln nahmen rund 60.000 Menschen an der CSD-Demonstration durch die Innenstadt teil. Hunderttausende feiernde Besuchende am Straßenrand zeigten ihre Solidarität. Mit einem Festwagen und einer riesigen Fußgruppe beteiligten sich die Evangelische Kirche und das Diakonische Werk. Auch deren Vertretende trotzten dem anhaltenden Regen und setzten sich ein für Vielfalt, Liebe und Akzeptanz, für Gleichberechtigung und Menschenrechte – in der Gesellschaft wie in der Kirche.
Ein Gottesdienst voller Symbolik und gelebter Akzeptanz
Vor dem Demo-Start hatten zahlreiche der Mitfahrenden und -laufenden in der nahen St. Johannes-Kirche in Köln-Deutz von den Pfarrerinnen Janneke Botta und Dr. Dorothea Ugi einen persönlichen Pride-Segen empfangen. Ebendort, im „queersten Gotteshaus der Stadt“, fand am Vorvorabend der CSD-Parade zur Einstimmung erneut ein überaus gut angenommener Gottesdienst statt: „Dass ganz viel Kraft und Segen über uns kommt.“ Nicht nur Regenbogenschmuck an den Eingangssäulen und im Chorraum, wo zudem goldene Ballons den Weg zum Altar säumten, verwies auf die Queere Kirche Köln als Gastgeberin. An den Wänden waren prägnante Aussagen und Forderungen zu lesen, darunter: „Lasst uns froh und bunter sein“, „Thank god I’m trans“, „Zeit für eine queer-feministische Kirche!“, und „Alle Menschen sind Teil von Gottes Schöpfung“.
Die „fetten Kühe“ als Bild für queere Errungenschaften
„Wir feiern, wie wir geschaffen wurden: queer – homo – trans – nicht-binär – questioning“, hieß es in der Einladung. „Mir fehlen fast ein bisschen die Worte“, sagte Pfarrer Tim Lahr zur Begrüßung. Er habe sich sagen lassen, dass manche nicht wüssten, wie sie sich in einer Kirche verhalten sollten: „Fühlt euch wie zuhause, fühlt euch sicher (…), fühlt euch frei. Lasst euch einfach fallen und darauf ein.“ Er und Botta hätten sich aufgrund gemischter Gefühle in der Vorbereitung viele Gedanken gemacht, wie man den Gottesdienst feiern wollte. Schließlich seien sie auf den Titel „Die fetten Jahre sind vorbei“ gekommen.
Gesang, Gebet und persönliche Bekenntnisse
Die ausführliche und exzellente musikalische Gestaltung übernahmen die Ludi mit charismatischer Stimme und individuellem Ausdruck sowie der Queere Kirchen-Chor unter Leitung von Pianist und Sänger Christoph Maletzko. Maletzko begleitete mit Gesang und Klavierspiel auch Lahrs mehrstrophiges Gebet, in dem er seine Traurigkeit offenbarte, dass es „nie reicht“:
„Egal wie ich bin, irgendwas ist immer falsch. Deshalb bete ich jetzt so, wie ich bin – ungefiltert. Mal bin ich zu laut, mal wieder zu leise. Sag ich was, isses zu viel, sag ich nix, isses Ignoranz. Mach ich Witze, bin ich respektlos, bin ich ernst, bin ich ein Problem. Gott, reicht es denn eigentlich nie? Wann ich endlich ich sein?!“
Kritik an pinkem Mainstream und Rückschrittstendenzen
Botta trug die Geschichte von Josef aus dem Alten Testament vor. Er sei anders gewesen, femininer, habe am liebsten die extravagantesten Kleider, wild und bunt, getragen. „Seine Brüder standen für die Welt, in der er lebte.“ Und sie verkauften den Jungen an eine Karawane, mit der er nach Ägypten kam. Als erfolgreicher Traumdeuter habe er schließlich auch dem Pharao dessen Traum von den sieben fetten Kühen, die von sieben mageren Kühen gefressen wurden, zutreffend aufgelöst.
Wie im Vorjahr teilten sich Botta und Lahr die Predigt. Darin übertrugen sie den Traum des Pharaos in die Gegenwart. Aufgrund Losentscheid „durfte“ Lahr sich der „fetten Kühe“ annehmen. Er sprach über Errungenschaften und Erfolge der queeren Bewegung. Die Erste, die Ehe-für-alle-Kuh – ein männliches Rind mit Brautschleier und Regenbogenband – wurde ebenso wie weitere Kühe visuell dargestellt. Der 30. Juni 2017, als der Bundestag die Eheöffnung beschloss, sei ein unvergesslicher Tag gewesen.
Zweitens nannte Lahr die „ziemlich fette“ Social Media-Kuh. In der Corona-Zeit seien queere Menschen deutlich sichtbarer geworden – nicht als Betroffene, sondern als Creatorinnen, Aktivistinnen, Vorbilder. Dagegen sei die „etwas halbfette“ Mainstream-Kuh ambivalent. Viele Unternehmen hätten auf einmal Regenbogen-Produkte angeboten – nicht immer aus Überzeugung. Er sprach von „Pinkwashing“ und stellte die Frage nach echter Solidarität.
Besonders ans Herz gewachsen sei ihm die Selbstbestimmungsgesetz-Kuh: „Nach Jahrzehnten des Kampfes wurde es endlich beschlossen.“ Der Staat habe aufgehört, Menschen zu kategorisieren, die einfach sie selbst sein wollen. Dieses Gesetz markiert einen historischen Schritt für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen.
Ein eindringlicher Appell an Verbündete und Queers
„Tim war der Heilsprophet, ich bin die Unheilsprophetin“, eröffnete Botta ihren Predigtteil. Ihr Auftrag sei, zu erzählen, wie diese hart erkämpften, süß und bunt leuchtenden Kühe „einfach gefressen werden“. In der Josefsgeschichte, so Botta, werfe sich niemand dazwischen – kein Gott, nicht mal die Tierrechtsorganisation Petra.
„Offenbar erzählt der Traum von damals auch heute noch unsere Geschichte“, sagte sie. Die Bedrohungen seien real: Ein Rückschritt beim Selbstbestimmungsgesetz, das Verbot queerer Sichtbarkeit im Bundestag, Warnungen des Verfassungsschutzes vor Gewalt gegen queere, linke und migrantische Menschen. Pride-Wagen würden angezündet, Gottesdienste müssten von Sicherheitsdiensten geschützt werden.
Sie sprach von ihrer Angst – besonders um trans*, queere und Schwarze Menschen – und zugleich von der Hoffnung, sich wie Josef in die Zukunft hineinzuträumen. „Josef ist ein Großer geworden in Ägypten, weil der Pharao kapiert hat, dass er Josefs Stimme an seinem Tisch braucht.“
„Und ich sage euch Heteros und Allies, ihr braucht uns an euren Tischen, unsere Perspektiven in euren Konzepten“, rief Botta. „Nicht nur um unseretwillen – um euretwillen.“ Die Welt sei unvollständig, ohne queere Stimmen. Gott habe uns mitgedacht.
„Und ich sage euch Queers: Tragt eure Kleider, träumt eure Träume, streckt euch aus, seid, wie ihr seid – denn so seid ihr gewollt. Steht zusammen, vertraut auf euch selbst und auf das Band, das uns verbindet.“ Gott habe uns so gewollt, erdacht und gesegnet. Nicht wir müssten uns verändern – sondern die Welt um uns herum. „Und ich glaube, unsere Kornspeicher werden voll sein.“
Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich
Der Beitrag Queerer Gottesdienst zum Christopher Street Day in der St. Johannes-Kirche in Köln-Deutz erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.