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Judenhass – Michel Friedman beim AntoniterAbend: „Hass hat immer Hunger und wird nie satt“

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Als „Rechtsanwalt, Philosoph, Publizist und Moderator“ hat Pfarrer Markus Herzberg Michel Friedman begrüßt, der Gast war beim AntoniterAbend im voll besetzten Antoniussaal. Friedman wurde 1956 in Paris geboren und war von 2000 bis 2003 stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Herausgeber der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine sowie von 2001 bis 2003 Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses. Er engagiert sich gegen Rechtsradikalismus und für die Integration Geflüchteter. Friedmans aktuelles Buch trägt den Titel „Judenhass“. Zu Beginn des Abends trug der Autor einige Passagen vor. „Ich bin nicht bereit, mich von Menschen, die hassen, beeinflussen zu lassen. Ich bin nicht bereit, ihnen dieses Machtgefühl zu schenken. Ich bin nicht bereit, einen Teil meiner Identität aufgrund von Drohungen zu löschen.

Ich verstehe nicht, warum Menschen, die selbst keine Juden sind, nicht bemerken, dass dort, wo die autoritäre Geisteshaltung ihren Platz gefunden hat, nicht nur die Minderheiten, sondern auch sie selbst ihre Lebensqualität verlieren. Die Schlinge des Autoritären schließt sich auch um ihr Leben. Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass der Hass das letzte Wort hat.“ Damit war der Ton für das anschließende Gespräch mit Pfarrer Herzberg gesetzt. Judenhass werde am Ende zum Menschenhass. Seit dem Angriff der Hamas sei klar, dass sich Juden nirgendwo sicher fühlen könnten. Immer noch würden über 100 Jüdinnen und Juden unter der Stadt Gaza festgehalten.

„Der Judenhass in diesem Land ist tief verwurzelt“

Dr. Barbara Slowik-Meisel, die Polizeipräsidentin von Berlin, hat Friedman gesagt, dass sie für die Sicherheit von Juden in ihrer Stadt nicht garantieren könne, wenn sie als Juden erkennbar seien. „Die Shoa war kein Betriebsunfall. Der Judenhass in diesem Land ist tief verwurzelt.“ Die Kinder in den jüdischen Kindergärten und Schulen stünden seit Jahrzehnten unter Polizeischutz. Laut Friedman hat der „radikale politische Judenhass“ zugenommen. Die Hamas und die Hisbollah verfolgten das Ziel, Israel und damit das Judentum auszulöschen. 1948 bei der Gründung Israels habe es auf dem Gebiet keinen Staat gegeben. Deshalb sei es Unsinn, von Kolonialismus in Verbindung mit der Staatsgründung zu reden. Es sei bestürzend, dass der Judenhass, „der nie weg war“, in den vergangenen Monaten „zurück auf unseren Straßen ist“. Und das in einem Land, „in dem die Vorfahren verantwortlich waren für den größten Zivilisationsbruch aller Zeiten“.

„Es gab viel stillschweigendes Einverständnis.“

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sei auch eine Geschichte des latenten Rechtsextremismus. „Es gab viel stillschweigendes Einverständnis.“ Die kürzeste Definition von Antisemitismus stamme von Theodor Adorno: „Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“ Das Gerücht über die Ermordung Jesu Christi durch die Juden, das Gerücht über die Geldgier und das Gerücht über die heimliche Weltherrschaft. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ seien eines der erfolgreichsten Bücher der Welt. Dabei sei erwiesen, dass sie 1903 vom zaristischen Geheimdienst geschrieben wurden. Friedman erzählte aus seinem Leben: „Ich habe mal einen Mitschüler nicht abschreiben lassen, weil mir der zutiefst unsympathisch war. Dessen Vater hat dann am Abend meinen Vater angerufen und hat gesagt ,Ja so sind die Juden‘.“ Während der Finanzkrise hat Friedman jemand auf die Beteiligten Goldmann-Sachs und Rothschild verwiesen. Jüdische Geldhäuser. Auf Friedmans Verweis, dass auch die Deutsche Bank beteiligt sei, lautete die Antwort: „Aber gehört die nicht auch den Juden.“

„Hass hat immer Hunger und wird nie satt“

Ihm werde häufig vorgeworfen, er reagiere auf Diskriminierung übersensibel, berichtete Friedman. „Aber gibt es den Begriff untersensibel?“ Wenn es den Juden nicht gäbe, würde ihn der Antisemit erfinden. „Hass hat immer Hunger und wird nie satt. Die, die sagen, dass die Juden das Problem sind, sind das Problem.“ Die Demokratie sei schwach, weil die Demokratinnen und Demokraten wenig redeten und „streiten sowieso nicht“. Herzberg erinnerte an den Rosenmontag nach dem russischen Überfall auf die Ukraine: „Da waren eine Million Menschen auf der Straße. Beim Schweigegang nach dem Überfall der Hamas hat man 3000 Menschen gezählt.“

„Ich habe keine Lust mehr, den Leuten zu erklären, wo ihr Problem liegt“

Friedman antwortete mit spürbarer Resignation: „Ich habe keine Lust mehr, den Leuten zu erklären, wo ihr Problem liegt.“ Auf Menschenwürde verzichten könne die Diktatur, die Demokratie könne das nicht. Protestanten hätten die Sätze Luthers goutiert, „und es gibt Länder, in denen ist das II. Vaticanum nicht angekommen“. Man müsse niemanden bitten, sich für die Juden einzusetzen: „Setzen Sie sich für sich selbst ein.“ Und weiter: „Wenn noch mal jemand ,Wehret den Anfängen‘ sagt, stehe ich auf und brülle: Hätte jemand den Anfängen gewehrt, wären wir nicht da, wo wir heute sind.“

Demokratie werde heutzutage konsumiert. Die Demokratie müsse wehrhaft sein. In den nächsten Jahren entscheide sich, ob sich Demokratien gegen Autokraten durchsetzen.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Gaby Gerster

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